Die neuen Nachbarn (Teil 3)

(Teil 1; Teil 2)

Kein Knurren war zu hören. Stattdessen wieder Schritte, diesmal von zwei Personen. Die Frau sagte etwas, aber durch die Wand konnte ich kein Wort verstehen, weder von ihr noch von dem, was eine männliche Stimme antwortete. Die beiden gingen weg, in den hinteren Teil ihrer Wohnung, den ich nicht mehr belauschen konnte.

Ich überlegte, was das wohl zu bedeuten hatte. War das Tier vielleicht nachtaktiv und schlief nun? Oder hatte ich mich getäuscht? Aber… nein, ich hatte gestern ganz sicher ein Kratzen gehört. Und dann ihre Weigerung, mir die Tür zu öffnen, obwohl sie da waren – irgendetwas hatten sie zu verbergen, das war klar, und der Gedanke lag nahe, dass es ein illegales Tier war.

Es gab nur einen Weg, mehr herauszufinden. Ich musste irgendwie Zugang zu ihrer Wohnung bekommen.

Einen Versuch mit Brot und Salz wollte ich noch wagen. Vielleicht am Nachmittag, wenn sie beide ausgeruht und entspannt waren. Vielleicht könnte ich Kuchen backen und ihnen ein Stück anbieten? Genau, und dann müssten sie mich zum Kaffee einladen, und ich könnte mich unauffällig bei ihnen umsehen. Ein guter Plan!

Ich verließ, wenn auch widerstrebend, meinen Lauschposten und sah meine Vorräte durch. Mehl, Zucker, Butter, Eier… ja, ich hatte noch genug für einen schönen Rührkuchen. Und genug Zeit, immer mal wieder zur Wohnungstür zu huschen und einen Blick durch den Türspion zu werfen. Nicht, dass die neuen Nachbarn in der Zwischenzeit ausgeflogen waren…

Bis der Kuchen fertig war, hatte sich nebenan jedoch nichts mehr gerührt. Ich machte mir belegte Brote zum Mittagessen und nahm wieder meinen Lauschposten ein. Gegen halb zwei kam die Frau aus der Wohnung, verabschiedete sich an der Tür mit einem Kuss und verließ das Haus. Ich wartete gespannt, und schon nach einer knappen Dreiviertelstunde kam sie zurück, mit Plastiktüten in den Händen – offenbar war sie einkaufen gegangen. Sie schloss auf und verschwand wieder im hinteren Teil der Wohnung, in dem, wie mir klar wurde, auch die Küche liegen musste. Ich lauschte angestrengt, hörte aber nichts mehr.

Um halb vier beschloss ich, dass jetzt die perfekte Zeit für Kaffee und Kuchen war. Ich nahm mein Geschenk und den Kuchen, der jetzt auch komplett abgekühlt war, und klingelte. Jetzt war meine Chance.

Wenn es wieder nicht klappte, könnte ich vielleicht noch mal mit dem Spiegel auf dem Balkon…

Die Tür öffnete sich, und die Frau musterte mich überrascht und, wie mir schien, ein bisschen ablehnend. Ich setzte mein strahlendstes Lächeln auf.

„Guten Tag, Frau Roth!“ Den Namen hatte ich von ihrem Klingelschild. „Und herzlich willkommen in unserem Haus! Ich bin die Nachbarin.“ Ich deutete mit dem Kuchenteller auf meine Wohnungstür. „Frau Müller-Gögler. Aber Sie können mich gern Heidemarie nennen.“ Ich überreichte ihr das Päckchen mit Brot und Salz und streckte die Hand aus. „Eine Kleinigkeit, um Sie willkommen zu heißen. Brot und Salz für das neue Heim! Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Und ich habe Kuchen gebacken, möchten Sie ein Stück?“

„Ich, äh… vielen Dank“, antwortete sie und ergriff erst meine Hand, dann den Kuchenteller. Ihr Händedruck war angenehm fest. Dann, endlich, trat sie einen halben Schritt zurück und drückte die Tür auf. „Wollen Sie nicht hereinkommen? Ich setze Kaffee auf. – Andy!“, rief sie in die Wohnung, und der Mann kam aus dem Wohnzimmer geschlurft. Ich lächelte ihn betont herzlich an.

„Das ist unsere Nachbarin“, stellte Frau Roth mich vor. „Frau, äh…“

„Müller-Gögler. Aber Sie können mich Heidemarie nennen“, ich streckte auch ihm die Hand entgegen, und nach einem unsicheren Blick zu seiner Frau ergriff er sie.

„Frau, ich meine, Heidemarie hat Kuchen gebacken. Haben wir das Kaffeegeschirr schon ausgepackt?“

Er kratzte sich am Kopf, was seinen ungekämmten Haaren keinen Gefallen tat, und meinte dann: „Ich schau mal. Wo willst du denn decken? Im Wohnzimmer?“

„Da stehen noch so viele Kisten“, die Frau errötete. Wenigstens war ihr die Unordnung peinlich. „Und… du weißt schon. Außerdem passen wir nicht alle auf das Sofa. Lass uns in der Küche essen.“

Er nickte, und ich folgte den beiden in den Teil der Wohnung, den ich noch nicht kannte. Ganz besonders interessierte mich die verschlossene Tür direkt gegenüber dem Eingang, denn das musste die Tür sein, hinter der das Tier eingesperrt war, doch mir fiel nicht ein, wie ich unauffällig dahinter schauen konnte.

Auch in der Küche standen noch Kartons, aber als der Mann Tassen aus dem Schrank holte und die Frau die Kaffeemaschine befüllte, sah ich, dass sie hier mit dem Einziehen schon deutlich weiter waren. Ich stellte den Kuchen auf den Tisch, auf dem schon eine Orchidee auf der hübsch geblümten Tischdecke stand. Die beiden wurden mir immer sympathischer, und außerdem war der Mann ziemlich groß und würde mir sicher gut helfen können, Dinge von hohen Schränken zu holen. Ich hoffte inständig, dass es eine Erklärung für die Geräusche gab.

Ich schaute mich immer wieder um, doch von dem Tier war nichts zu sehen. Nur ein leichter Geruch von nassem Hund lag in der Luft.

„Setzen Sie sich doch“, sagte die Frau jetzt. „Ich bin übrigens Jana, und das ist Andy, mein Mann.“

Ich lächelte freundlich. „Ich freue mich so, Sie kennenzulernen! Gute Nachbarn sind etwas wundervolles. Wenn Sie noch Hilfe beim Einrichten brauchen, sprechen Sie mich jederzeit an. Irgendwo habe ich auch noch die Bohrmaschine von meinem verstorbenen Mann…“

„Danke, das ist sehr nett. Aber wir kommen zurecht“, Jana lächelte. „Einen Bohrer haben wir auch. Aber vielen Dank für Ihr Angebot!“ Sie wandte sich ab und holte Milch aus dem Kühlschrank.

Während Andy den Zucker suchte, wagte ich einen neuen Vorstoß. „Und wenn Sie in den Urlaub fahren, kann ich gern Ihre Blumen gießen. Oder Ihren Hund füttern.“ Ich beobachtete sie genau, und ich hätte schwören können, dass es in Andys Gesicht zuckte. Jana hatte mir leider den Rücken zugedreht, aber ihre Haltung schien sich zu versteifen. Ich war also auf einer heißen Spur…

„Hund?“, fragte Andy mit einem steifen Lächeln, „wir haben keinen Hund.“

„Ach so“, sagte ich unschuldig, „Ich hätte schwören können, dass ich gestern einen Hund in Ihrer Wohnung gehört habe. Oder vielleicht ein anderes Tier? Ich muss zugeben, dass ich mich mit Haustieren nicht so auskenne. Mein Mann war allergisch auf Tierhaare, wissen Sie?“

„Wir haben kein Haustier“, sagte Andy knapp, in einem Ton, der das Gespräch offensichtlich beenden sollte. Jana drehte sich um und warf ihm einen Blick zu, den ich nicht ganz lesen konnte. Dann zuckte sie mit den Schultern.

„Sie haben sich bestimmt verhört“, meinte sie und stellte eine Zuckerdose etwas zu heftig auf den Tisch. „Wir haben einen Film geschaut, vielleicht war der zu laut. Das tut mir sehr leid. Wir achten in Zukunft besser darauf.“

Ich war enttäuscht. Nur ein Film? Aber… „Hören Sie, Sie können es mir ruhig sagen, wenn Sie ein Tier haben.“ Ich beugte mich vertraulich vor. „Der Mietvertrag erlaubt das. Und wenn es etwas Exotisches ist, ist Ihr Geheimnis bei mir sicher.“

Andy lachte, oder vielleicht hustete er auch nur. Jana setzte ein steifes Lächeln auf. „Wir haben kein Geheimnis. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden den Fernseher in Zukunft leiser stellen.“

„Warum haben Sie dann gestern Nachmittag nicht aufgemacht?“, rutschte es mir heraus. Oje, das war eine unhöfliche Frage, aber nun war sie ausgesprochen, und ich erwartete eine Antwort.

Die beiden wechselten einen Blick.

„Das, hm, wir“, druckste Andy herum. Er warf Jana einen flehenden Blick zu, und sie sagte schließlich: „Es tut uns leid, dass wir so unhöflich waren. Das ist ein, nun ja, monatliches Problem“, erklärte sie. „Normalerweise bin ich nicht so, wirklich.“ Sie lächelte nun etwas entspannter. „Ich hoffe, wir können trotz diesem Start gute Nachbarn werden.“

Ich nickte. Die Antwort befriedigte mich nicht so ganz, aber vielleicht war sie ja eine von denen, die ganz fürchterliche Krämpfe bekamen. Meine Cousine war auch so. Die hatte sich vielleicht gefreut, als sie endlich in die Wechseljahre kam!

Naja, ein bisschen seltsam waren sie eben, meine neuen Nachbarn. Aber wir hatten dann doch noch einen ganz netten Nachmittag. Jana interessierte sich sogar für meine Spitzenklöppelei! Das bin ich von den jungen Leuten gar nicht mehr gewöhnt. Wir unterhielten uns dann noch ziemlich lang.

Als ich wieder in meine eigene Wohnung zurückging, war draußen schon der Mond aufgegangen. Um diese Jahreszeit war es zwar noch hell, aber das war doch ordentlich spät für mich. Ich bin doch Frühaufsteherin.

Aber schön sah er aus, der Mond. Noch fast voll. Letzte Nacht musste wohl Vollmond gewesen sein.

 

(13./18.10.2015, 1408 Wörter. Endlich fertig! Auch wenn die Geschichte deutlich länger geworden ist als geplant…

Und? Wer errät das Geheimnis der neuen Nachbarn?)

2 Kommentare

  1. Werwölfe ;-)

    1. …und wir haben einen Gewinner! :-D Aber psst, nicht weitersagen ;-)

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