Ein schwacher Duft nach Zitrone

Miri drängte sich, so schnell sie konnte, aus dem Bus. Puh, war das ein Gestank gewesen! Der Schweiß von Dutzenden von Menschen, der abgestandene Zigarettenrauch, der in den Kleidern ihres Nebenmannes gehangen hatte, das ausgelaufene Bier, das bei jeder Kurve neue Muster auf den Boden gezeichnet hatte, und der subtil-penetrante Knoblauchgeruch, dessen Ursprung sie nicht hatte feststellen können, waren schlimm genug gewesen, zumal bei dieser Hitze. Aber als dann auch noch jemand einstieg, dessen Schuhsohle die ganz eigene Duftnote hündischer Hinterlassenschaften mit sich trug, hatte es ihr gereicht, und sie war ausgestiegen.

Jetzt atmete sie erst einmal tief durch. Kühler war es hier draußen auch nicht, und der einzige Windhauch kam von dem Kampfradler, der sie beinahe umgefahren hätte und zum Abschied mit einer Schimpftirade bedachte. Aber immerhin waren die Menschen hier nicht mehr so dicht gedrängt, und sie musste nur noch ihren eigenen Schweiß riechen. Sie wusste, dass sie am Ende dieses langen Tages auch nicht mehr taufrisch war – auch das beste Deo kommt irgendwann an seine Grenzen –, aber der Bus war wirklich nicht mehr auszuhalten gewesen. Zu dumm, dass sie eigentlich noch ein gutes Stück von ihrem Ziel entfernt war… Andererseits, sie hatte nichts mehr vor heute Abend, also konnte sie auch laufen. Die Bewegung tat ihr sicher gut.

Also machte sie sich auf den Weg. Verlaufen konnte sie sich nicht, von hier aus ging es immer nur die Straße entlang, vorbei an kleinen Cafés und Bars, die jeden legalen Gehwegzentimeter mit Tischen und Stühlen vollgestellt hatten. Hmm, hier roch es aber lecker nach Kaffee! Vielleicht sollte sie sich das merken. Wenn sie jetzt noch Koffein tränke, käme sie morgen nicht mehr aus dem Bett, aber früh, vor der Arbeit…? Wenn der Kaffee hier so gut schmeckte, wie er duftete, war das eine Überlegung wert.

Puah, nur zwei Häuser weiter war dafür alles voller Raucher. Miri beschleunigte ihre Schritte. Hoffentlich blieb das nicht in ihren Klamotten hängen! Sie hasste Zigarettenrauch, und noch schlimmer fand sie den Geruch, der am nächsten Tag davon übrigblieb. Warum atmeten die Leute freiwillig so ein Zeug ein? Bloß weg hier. Die Supermarkttüren öffneten sich automatisch, als Miri an ihnen vorbeiging – sie war wohl der Lichtschranke zu nahe gekommen. Immerhin, zur Belohnung wehte ihr ein Schwall gekühlter Luft entgegen, ein Genuss bei diesen Temperaturen. Ein Hauch von Putzmittel lag darin, und dann war sie auch schon daran vorbei. Und die Ampel schaltete gerade auf grün! Sie musste nicht einmal langsamer werden. Miri lächelte und eilte weiter.

An der anderen Ecke hatte das Hähnchenrestaurant alle Fenster weit geöffnet. Es war wie immer voll besetzt. Sie verstand nicht, wie man sich bei diesen Temperaturen freiwillig in das innere eines Grillrestaurants setzen konnte – trotz der offenen Fenster musste das die reinste Sauna sein. Ob die Hähnchen wohl wirklich so gut schmeckten? Sie schnupperte. Schlecht rochen sie ja nicht, aber auch nicht weltbewegend.

Miri sog wieder die Luft ein. Huh? Das war aber nicht der Geruch von Grillhähnchen, was ihr da in die Nase stieg. Sie schaute zur Seite. Nein, was da nach alten Polstern und Staub roch, war ein Trödelladen. Sie ließ einen Blick über die Auslage schweifen. Nein, nichts Interessantes dabei. Miri eilte weiter, ohne innezuhalten.

Jetzt kamen ein paar reine Wohnhäuser, dann eine Schischa-Bar. Warum konnten nicht alle Raucher auf Schischa umsteigen? Miri fand das so viel erträglicher, vor allem der Tabak mit Apfelaroma hatte eine fast angenehme Note. Neben der Tür stand ein Eimer mit glühenden Kohlen, Nachschub für die Wasserpfeifen. Das roch nicht ganz so gut, scharf und rußig, aber sie war ja schon fast daran vorbei. Eine elegante Kurve um den Hundehaufen, und sie hatte ein weiteres unangenehmes Dufterlebnis vermieden. Dass diese Mistviecher auch überall hinkackten! Und keiner räumte hinter ihnen her. Sie verzog das Gesicht.

Wieder ein Straßencafé, dann ein Pizzarestaurant. Allmählich meldete sich ihr Magen. Zum Glück war es nicht mehr weit. Noch an diesem wohnhaus vorbei, und dann – uarg, rauchte da einer Pfeife? Sie schaute nach oben. Tatsächlich, da hing so ein alter Knacker auf der Fensterbank und verpestete die Luft. Miri versuchte nicht zu atmen und eilte weiter.

An der nächsten Straßenecke hielt sie es nicht mehr aus und atmete tief ein. Ein Glück, der Pfeifengeruch war weg. Stattdessen spürte sie einen schwachen Duft nach Zitronen. Woher der wohl kam? Sie schnupperte. Es roch angenehm frisch, eine Wohltat nach all dem Gestank des Tages. Aber was konnte das sein? Sie sah weit und breit kein Obst, hier war nur der Eingang ihres eigenen Hauses. Achselzuckend schloss sie die Tür auf und stieg in den ersten Stock.

Als sie ihre Wohnung betreten hatte, roch sie es wieder. Ganz schwach, aber wunderbar frisch wehte ihr der Zitronenduft in die Nase. Sie folgte ihm durch die offene Balkontür bis zu dem Scherbenhaufen zwischen ihren Blumentöpfen, und dann sah sie die Bescherung: Sie musste eine Flasche Zitronenlimo vergessen haben, und ihre Katze hatte sie runtergeworfen.

Miri musste lächeln. Eine schöne Bescherung, ja; aber immerhin hatte ihr der Duft das Heimkommen versüßt.

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